KI: Neues machen, was vorher nicht möglich war
10.11.2025
Interview mit KI-Forscher Björn Ommer über die Potenziale Künstlicher Intelligenz
10.11.2025
Interview mit KI-Forscher Björn Ommer über die Potenziale Künstlicher Intelligenz
Björn Ommer leitet als Inhaber eines KI-Lehrstuhls die Computer-Vision-und-Learning- Forschungsgruppe, ist Chief AI Officer der LMU und Co-Vorsitzender des Bayerischen KI-Rats. Im Interview spricht der LMU-Informatiker über aktuelle Entwicklungen Künstlicher Intelligenz und die Möglichkeiten, die diese neue Technologie in Gesellschaft und Wirtschaft weiter eröffnen wird. Am 10. November wird Björn Ommer im Rahmen des KI-Symposiums einen Vortrag halten zum Thema „KI: Von der Informations- zur Wissensgesellschaft“.
KI-Anwendungen wie ChatGPT werden stark genutzt. Zeigt das, dass die Möglichkeiten, die KI eröffnet, angenommen werden?
Björn Ommer: KI ist sehr viel mehr als die Large Language Models. Aber wenn Sie jetzt ChatGPT als Beispiel nehmen: Die Deutschen sind sehr weit vorne, was die Nutzerschaft angeht. Ich glaube, die Akzeptanz ist da und der Bedarf wird gesehen. Gleichzeitig gibt es bei vielen Fragen darüber, was KI mit uns macht und wie es die eigene Arbeit verändern wird.
Es ist ein Auseinanderdriften der Gesellschaft zu beobachten. Es gibt Personen, gerade im Business-Bereich, die KI sehr informiert nutzen und dadurch wirklich Wertschöpfung vorantreiben. Auf der anderen Seite haben andere User sicher noch Nachholbedarf.Björn Ommer, Inhaber eines KI-Lehrstuhls, Leiter der Computer-Vision-und-Learning-Forschungsgruppe und Chief AI Officer der LMU
Würden Sie sagen, KI wird informiert genug angewendet?
Es ist ein Auseinanderdriften der Gesellschaft zu beobachten. Es gibt Personen, gerade im Business-Bereich, die KI sehr informiert nutzen und dadurch wirklich Wertschöpfung vorantreiben. Auf der anderen Seite haben andere User sicher noch Nachholbedarf. Aber, und das ist mir wichtig zu betonen: Wir haben es mit einer Technologie zu tun, die erst seit drei Jahren „in the making“ ist.
Wir schauen der Forschung gewissermaßen über die Schulter und nutzen sie, während sie weiterentwickelt wird. Wenn wir das damit vergleichen, wie lange es gedauert hat, bis Internet oder Mobiltelefonie breit in der Gesellschaft angekommen waren, geht das jetzt bei KI deutlich schneller.
Aber die Technologie muss natürlich noch verbessert werden, und wir Menschen müssen insbesondere verstehen, wofür wir sie noch nutzen können. Ich denke, da ist Potenzial für einen deutlichen Mehrwert da. Der erste Schritt ist immer, dass eine neue Technologie zur Optimierung oder als effizienterer Ersatz von bestehender Funktionalität genutzt wird. Aber das wirkliche Potenzial dieser Technologie entsteht dort, wo wir Neues machen, das vorher gar nicht möglich war.
Zu viele Firmen setzen im Moment nur auf die reine Rationalisierung durch KI. Das Ziel wäre, gänzlich Neues zu erschaffen. Und das ist auch der Grund, warum wir an der LMU KI sehr tief in Forschung und Lehre integrieren und eine neue Generation ausbilden möchten, die das Wissen darüber in die Gesellschaft hineinträgt.
Die LMU ist als Volluniversität sehr genuin aufgestellt, wenn es um KI geht.Björn Ommer, Inhaber eines KI-Lehrstuhls, Leiter der Computer-Vision-und-Learning-Forschungsgruppe und Chief AI Officer der LMU
Sie arbeiten selbst interdisziplinär. Wie wichtig ist die fächerübergreifende Zusammenarbeit bei der Forschung zu KI?
Künstliche Intelligenz ist per Definition interdisziplinär und lässt sich nicht auf einen Nischenbereich reduzieren. Die Forschung, aber auch die Anwendung von KI profitiert, wenn möglichst verschiedene Domänen und Modalitäten zusammenkommen.
Zum Beispiel existiert gar kein reines Large Language Model mehr, denn die Modelle wurden auch mit Bildern und Videos trainiert. Allein um die Technologie zu verbessern, sind also verschiedene Domänen nötig. Und wenn man dann noch darüber nachdenkt, dass es auch ethische, soziale und weitere Aspekte beim Entwickeln Künstlicher Intelligenz gibt, dann kommen Sie gar nicht mehr umhin, verschiedene Disziplinen zusammenzubringen.
Die LMU ist als Volluniversität sehr genuin aufgestellt, wenn es um KI geht. Weil KI eben nicht nur reines Engineering ist, sondern eine ganzheitliche Perspektive braucht, bei der unterschiedliche Domänen zusammenkommen und gesellschaftliche Fragen eine Rolle spielen.
Das Ziel wird sein, dass mittelfristig die Systeme intelligenter lernen, also mit weniger, aber dafür ausgewählten Daten, und durch das Vermeiden von Wiederholungen mit weniger Rechenkapazität.Björn Ommer, Inhaber eines KI-Lehrstuhls, Leiter der Computer-Vision-und-Learning-Forschungsgruppe und Chief AI Officer der LMU
Sprachmodelle wie ChatGPT verbrauchen enorme Rechenkapazitäten. Sie haben bereits vor zwei Jahren in einem Interview auf lmu.de gesagt, dass sich die Entwicklung an einem Wendepunkt befindet und Sie die Skalierung nicht mitmachen. Was ist seither passiert und wie wird es weitergehen?
Wir sehen genau das. Selbst für die großen Firmen ist die Entwicklung inzwischen so teuer geworden, dass sie nicht einfach nur noch mehr Daten in die Modelle werfen und diese noch größer machen können. Ein anderes Problem ist, dass genuin neue Daten nötig sind, um die Entwicklung voranzubringen. Immer mehr vom Gleichen hilft nicht.
Auch durch die Klagen von Content-Providern, die sich dagegen wehren, dass die KI-Firmen ihre Daten genutzt haben, ohne dafür zu zahlen, ist klar, dass das bisherige Trainingsmodell so nicht mehr beliebig weiter funktionieren wird.
Wir sehen auch, dass wirkliche Intelligenz nicht einfach nur dadurch zustande kommt, dass immer höher skaliert wird. Das Ziel wird sein, dass mittelfristig die Systeme intelligenter lernen, also mit weniger, aber dafür ausgewählten Daten, und durch das Vermeiden von Wiederholungen mit weniger Rechenkapazität.
KI ist eine leistungsfähige Technologie, die damit zum Vergrößerungsglas wird für Probleme, die wir schon vorher hatten, und auf Hausaufgaben verweist, die wir als Gesellschaft bislang nur ungenügend gemacht haben – zum Beispiel auf den sozialen Netzwerken.Björn Ommer, Inhaber eines KI-Lehrstuhls, Leiter der Computer-Vision-und-Learning-Forschungsgruppe und Chief AI Officer der LMU
Was ändert sich, wenn KI so wenig Rechenkapazität benötigt, dass sie auf Consumer-Hardware läuft?
Als wir die Bild-KI Stable Diffusion entwickelt haben, war unser Ziel, dass die Modelle nach dem Training auch auf dem Smartphone lokal eingesetzt werden können. Das reduziert die Abhängigkeit von ausländischen Cloudanbietern, schafft Datenschutz und stärkt unsere Souveränität. Diese wird mit dem aktuellen Trend hin zu KI-Applikationen immer wichtiger.
Die großen Foundation-Models sehe ich als Betriebssystem für die KI der Zukunft. Aber Anwenderinnen und Anwender arbeiten an ihrem PC nicht mit der Kommandozeile. Sie verwenden Apps, die es ihnen erst ermöglichen, effizient und einfach mit dem PC zu arbeiten. So werden wir zukünftig nicht mehr vorrangig mit den Foundation-Models, sondern mit den davon abgeleiteten KI-Apps interagieren. Hier sehen wir dann auch viele zielgerichtetere, kompaktere Applikationen.
Wenn Sie an Ihrem Mobiltelefon zum Beispiel im E-Mail-Programm schnell etwas diktieren möchten, brauchen Sie kein Modell mit vielen Milliarden Parametern, da reicht etwas Einfaches aus.
Bedeutet es auch, dass die Anwendungen individueller werden? Falls ja: Könnte damit die Gefahr einer Fragmentierung der Gesellschaft verbunden sein?
Lokal laufen bedeutet zunächst noch nicht, dass die KI, die Sie und ich haben, eine andere ist. Schon jetzt lassen sich Sprachmodelle aber personalisieren: Zum Beispiel kann man bei ChatGPT auswählen, wie die Persönlichkeit des Modells sein soll, ob freundlich oder nüchtern, und wenn Sie die Memory-Funktion nutzen, lernt die KI kontinuierlich, sich an Sie anzupassen, Ihnen entgegenzukommen. Aber wie weit sollte die KI gehen? Wann sollte sie dem Nutzer sogar widersprechen oder zumindest andere Meinungen einbringen? Dies sind keine neuen Fragen. Es zeigt sich vielmehr: KI ist eine leistungsfähige Technologie, die damit zum Vergrößerungsglas wird für Probleme, die wir schon vorher hatten, und auf Hausaufgaben verweist, die wir als Gesellschaft bislang nur ungenügend gemacht haben – zum Beispiel auf den sozialen Netzwerken.
Wir befinden uns in einer Informationsgesellschaft, in der wir inzwischen an der Informationsflut nahezu ersticken. Aber was uns fehlt, ist der gezielte und individuelle Zugang zu dem Wissen dahinter. Dabei kann KI helfen: Emergenz zu erreichen, damit durch die Verbindung einzelner Datenpunkte etwas Neues entsteht, nämlich personalisiertes, in Handlungen umsetzbares Wissen, das sogenannte Actionable Knowledge.Björn Ommer, Inhaber eines KI-Lehrstuhls, Leiter der Computer-Vision-und-Learning-Forschungsgruppe und Chief AI Officer der LMU
forscht selbst zu Künstlicher Intelligenz und hat die Bild-KI „Stable Diffusion“ mitentwickelt. „Ich finde es spannend zu sehen, wie breit diese Technologie schon eingesetzt wird, obwohl sie natürlich noch nicht fertig ist.“ | © Ansgar Pudenz
Sie halten viele Vorträge, geben viele Interviews. Welchen Eindruck haben Sie: Werden KI und ihre Bedeutung von Medien und der Gesellschaft richtig eingeschätzt?
Darauf kann ich nur mit Nein antworten. Die allermeisten haben keine Vorstellung, wie groß die Entwicklung wirklich ist. Bei generativer Intelligenz denken viele nur an das Erstellen von Texten, Bildern oder Videos. Wir werden aber viele wertvolle Anwendungsfälle jenseits der Generierung von Inhalten sehen. So kann die KI zum Beispiel auch unstrukturierte, heterogene Daten erschließen und kontextualisieren. Gerade für die Wissenschaft wird dies zum Gamechanger.
Ich sehe Künstliche Intelligenz als eine Ermöglichungstechnologie, die uns dabei hilft, von einer Informations- zu einer Wissensgesellschaft zu werden. Ich denke, dass Wissen dort entsteht, wo Dinge zusammenkommen, die sich nicht auf derselben Buchseite befinden, sondern gegebenenfalls in ganz anderem Kontext, sogar in weit voneinander entfernten Feldern. Und wenn KI dabei hilft, wird sie zum Ermöglicher von weiterem Wissen. Wir befinden uns in einer Informationsgesellschaft, in der wir inzwischen an der Informationsflut nahezu ersticken. Aber was uns fehlt, ist der gezielte und individuelle Zugang zu dem Wissen dahinter. Dabei kann KI helfen: Emergenz zu erreichen, damit durch die Verbindung einzelner Datenpunkte etwas Neues entsteht, nämlich personalisiertes, in Handlungen umsetzbares Wissen, das sogenannte Actionable Knowledge. Es handelt sich also nicht um bloße Fakten, sondern um Wissen, das direkt für mich als Anwender personalisiert ist und Informationen für mein konkretes Handeln liefert.
Wir können uns gar nicht ausmalen, was es bedeutet, wenn wir von einer von rohen Informationen geleiteten Gesellschaft zu einer Wissensgesellschaft werden, in der Intelligenz zu einer Ressource wird, die skalierbar ist, in die Tiefe und Breite zugleich reicht und für alle erschwinglich zugänglich wird.
Am 10. November 2025 findet an der LMU ein KI-Symposium statt. Professor Björn Ommer wird die Keynote-Lecture halten zum Thema „The Transformative Power of AI: From Information to Knowledge Society".
Zudem werden sich unter anderem die jüngst neuberufenen KI-Professorinnen und -Professoren vorstellen sowie die Task Force „AI and Transfer/Innovation". „Ich bin gespannt auf den Austausch und den Impetus aus den unterschiedlichen Fachbereichen“, sagt Björn Ommer.
KI-Symposium an der LMU: Zum Programm